Rauschgifthändler mischen das weiße Pulver oft mit pharmakologisch wirksamen Substanzen. Das kann schädlicher sein als die Droge selbst.
Dunkle Augen unter grauen Haaren. Der Mann kneift sie zusammen, als er – sehr vorsichtig – weißes Pulver in ein Reagenzglas schüttet. Dann eine farblose Flüssigkeit. Beißender Gestank kriecht durch die heiße Sommerluft.
Über dem Feuerzeug brodelt die Mischung, mit einem Mal sind da zwei Flüssigkeiten, die untere klar, die obere milchig. Der Koch lächelt. Mit ein bisschen Ammoniak hat er Straßenkokain in Crack verwandelt.
Er bugsiert die ölige Milch auf ein Taschentuch. In der Hitze trocknet sie schnell. Jetzt liegen dort Kristalle, dick und aprikosenrosa wie teures Steinsalz. Hastig lässt er sie in seine silberne Pfeife plumpsen. Dicker Rauch steigt auf. Die Augen drehen sich nach oben. Der Mann, der sich auf der Straße Ali nennt, ist wieder mal weg, ganz weit weg.
Der ehemalige Offizier ist vor 40 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Fast genauso lang ist er auf Kokain. Der Rausch beim Rauchen kommt schnell – und ist auch sehr schnell wieder vorbei. So entfaltet Kokain sein größtes Abhängigkeitspotenzial.
Deshalb raucht Ali viele Male am Tag. Er ist abgemagert. Seine Lunge pfeift. Und doch sagt Jürgen Kempf, forensischer Toxikologe an der Universitätsklinik Freiburg: “Crack ist besser als sein Ruf.”
Das Allerweltsweiß macht es Dealern leicht
Chemisch betrachtet, handelt es sich bei “Crack” um das eigentliche Kokain. Der Pflanzenstoff aus den Blättern des Kokastrauchs ist harzartig. Er löst sich nicht in Wasser, brennt aber gut. Das weiße Pulver dagegen, das die Dealer als Kokain verkaufen, ist eigentlich Cocainhydrochlorid. Es entsteht, wenn man die Kokapaste mit Säure versetzt.
Dieses Pulverkoks ist nicht nur deshalb praktischer, weil es über die Nasenschleimhäute aufgenommen oder in Wasser aufgelöst in die Venen gespritzt werden kann. Sein Allerweltsweiß macht es auch denen leicht, die die Droge mit anderen Stoffen strecken wollen. Denn viele chemische Substanzen sehen ganz genauso aus.
Wer Crack rauche, wisse wenigstens, was er nimmt, sagt Kempf. Aber Kokain zu schnupfen oder zu spritzen, das sei wie pharmakologisches Russisch Roulette.
Für die Streckstoffe hat sich bisher niemand interessiert
Ali konsumiert meist in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, in einem speziellen Rauchzimmer der Drogenhilfe-Einrichtung Drob Inn. Das ist die Verbindung zu Kempf. Wie andere Abhängige auch, spendet Ali dort immer mal wieder ein paar Krümel von seinem teuer gekauften Stoff, damit es der Chemiker am anderen Ende der Republik auseinandernehmen kann. Auch aus Berliner Einrichtungen kommen solche Proben nach Freiburg. Außerdem aus Frankfurt, München und Nürnberg.
Die Untersuchung ist Teil des Projekts DRUSEC (hier als PDF). Es ist deutschlandweit die erste systematische Analyse der Stoffe, mit denen die am weitesten verbreiteten harten Drogen Kokain und Heroin für den Straßenverkauf angemischt werden. “Im Polizeialltag werden solche Kleinstmengen unanalysiert vernichtet”, sagt Kempf. “Und auch bei größeren Funden geht es nur um den Reinheitsgehalt.” Weil der fürs Strafmaß wichtig sei. “Deswegen fielen die Begleitsubstanzen bei den bisher üblichen Analysen immer unter den Tisch.”
Kokain ist meist ein Cocktail bedenklicher Substanzen
Medizinisch betrachtet, könnte das ein großer Fehler gewesen sein. Denn die ersten, noch nicht veröffentlichten Resultate der Studie ergeben vor allem für Kokain ein beunruhigendes Bild. Der Tagesspiegel konnte vorab die vorläufigen Ergebnisse mit dem Hamburger Stoff einsehen.
Während Heroin dort ausschließlich mit Stoffen verdünnt wurde, die jedermann in der Apotheke kaufen kann – der Schmerzstiller Paracetamol und der Wachmacher Koffein –, wurde das “Kokain” den Kunden meist als Cocktail unterschiedlicher bedenklicher Substanzen angeboten. Entweder angemischt mit Medikamenten, die wegen ihrer organschädigenden Nebenwirkungen schon vor Jahrzehnten vom EU-Markt genommen wurden. Oder aber mit verschreibungspflichtigen Stoffen, die wegen ihrer Wirkung auf die Psyche nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden sollten.
Der aktuelle Lieblings-Streckstoff der Dealer scheint Phenacetin zu sein. Mit bis zu 60 Prozent Anteil an der jeweils getesteten Drogenmischung war es in Hamburg der bedeutendste Zusatzstoff. Phenacetin ist ein Schmerzmittel, das 1888 von der Firma Bayer entdeckt wurde. Weil es auch euphorisierend wirkt, verteilten es Fabrikbesitzer in der wilhelminischen Ära zur Steigerung des Umsatzes an ihre Arbeiter.
Daraufhin wurde die “Phenacetin-Niere” bei Ärzten ein fester Begriff. Der Stoff macht nämlich nicht nur schmerzunempfindlich und fröhlich. Bei längerem Gebrauch zerstört er feine Strukturen in der Niere und kann zum Versagen des Organs führen.
Ein Stoff ist nur bei Tieren zugelassen
Im Hamburger Kokain ist häufig auch das Entwurmungsmittel Levamisol enthalten, in einigen Proben machte es bis zu neun Prozent aus. In der EU ist es wegen seiner Nebenwirkungen nur in der Tiermedizin zugelassen. Am gefürchtetsten, weil lebensgefährlich, ist der Lungenhochdruck.
Längerfristig eingenommen, führt Levamisol dazu, dass sich die weiße Substanz im Gehirn verändert. Die schleichend Vergifteten werden lethargisch, bekommen Gedächtnislücken. Bei manchen Menschen verringert sich auch die Zahl weißer Blutkörperchen dauerhaft. Wer an einer solchen Agranulozytose leidet, kann schon an leichten Infektionen sterben.
Levamisol gehört der US-Drogenbehörde DEA zufolge zu den Substanzen, die die Kartelle in Mittel- und Südamerika schon direkt “ab Werk” zusetzen. Wahrscheinlich, vermuten Forscher, weil Levamisol die Wirkung des Kokains verstärkt und verlängert.
Kokain hat nämlich ein Nachhaltigkeitsproblem: Der Rausch hält nur wenige Minuten, die Abhängigen gewöhnen sich schnell an eine Dosis. Ali, der Mann mit der silbernen Crackpfeife, sagt es so: “Wenn du zum ersten Mal Koks nimmst, haut es dich nach oben durch die Decke, direkt in den Himmel. Aber genauso schnell kommst du wieder runter. Und du versuchst es wieder und wieder. Aber es ist nie mehr so unglaublich wie beim ersten Mal.”
Gegen dieses Loch kann Levamisol tatsächlich helfen, wenigstens eine Weile: Es erhöht die Ausschüttung des Sucht-Botenstoffs Dopamin im Gehirn, verlängert die Abbauzeit von Kokain in den Nervenzellen. Und eines seiner Stoffwechselprodukte wirkt selbst anregend. Diese Wirkung setzt genau dann ein, wenn jene des Kokains nachlässt.
Das Strecken soll den Konsum einfacher machen
Die Wirkung von Kokain “angenehm” zu ergänzen, ist wohl das Ziel fast aller derzeit zugesetzten Stoffe. Das folgern die Autoren einer Schweizer Untersuchung von 2016, für die die Forscher internationale Drogenfunde analysierten. Die Kriminalwissenschaftler von der Universität Lausanne schreiben: “Es geht darum, die Wirkungen des Kokains zu imitieren oder zu steigern – und darum, den Konsum einfacher zu machen.”
Besonders bemerkenswert ist, dass bei bisherigen Studien auch zwei Substanzen im Kokain gefunden wurden, die für einigen Fachverstand bei den Kokainverkäufern sprechen: Diltiazem und Hydroxyzin. Diltiazem ist ein Kalziumkanalblocker. Er wirkt gegen hohen Blutdruck, wird normalerweise zur Behandlung von Herzkrankheiten eingesetzt. Das Medikament wirkt dem Herzschlag beschleunigenden Effekt von Kokain entgegen.
Hydroxyzin wiederum kann zum Beispiel gegen Angstzustände verschrieben werden. Gleichzeitig wirkt es gegen starken Juckreiz. Auch das passt erstaunlich gut: Psychiater kennen von Kokainpatienten eine sehr spezielle Psychose. Die Süchtigen geraten in helle Panik, weil sie sich verfolgt fühlen. Dabei kratzen sie sich oft blutig, weil sie meinen, Insekten krabbelten unter ihrer Haut: der sogenannte Dermatozoenwahn. Wer mit Hydroxyzin diese Nebenwirkungen dämpfen kann, der macht seinen Stammkunden die Kokainpsychose gleich ein wenig erträglicher.
Wie schädlich sind die Beimischungen?
Aber reicht die Menge an Streckmitteln, die Kokainisten schnupfen oder spritzen, tatsächlich aus, um ihnen zu schaden? Nach Angaben der europäischen Drogenmonitoring-Behörde EMCDDA und anderen Suchtforschern variiert die konsumierte Menge Koks – je nach Schwere der Abhängigkeit – zwischen rund zehn und 400 Gramm pro Jahr. Wer auf einmal zu viel Kokain nimmt, dessen Herz kann stehenbleiben.
Wie es aber bei den lebendigen Koksern um die Gesundheit steht, das ist unklar. Zum Beispiel, ob es eine Konsummenge gibt, die bei regelmäßigem Gebrauch das Herz belastet. Genauso offen ist die Frage, welche Langzeiteffekte die Streckmittel haben.
Was es aber gibt, ist eine Untersuchung zu Streckmittelrückständen bei Kokain-Toten. Sie stammt von Evelyn Pawlik, Biochemikerin in der Forensischen Toxikologie des Uniklinikums Düsseldorf. Pawlik suchte in Blut und Lungengewebe von Kokainabhängigen, die in der Rechtsmedizin obduziert worden waren, nach Spuren anderer Chemikalien.
“Bisher hat man bei Drogentoten oft einfach angenommen, dass die Schäden an inneren Organen wie Herz oder Lunge auf den Drogenmissbrauch zurückgehen”, sagt sie. Den Streckstoffen hingegen habe man eine nachgeordnete Rolle zugeschrieben. Das aber sei reichlich naiv. “Wenn die Konsumenten gestrecktes Kokain schnupfen, kommt ausgerechnet ein Stoff wie Levamisol, der die Lunge schädigt, direkt mit Lungengewebe in Kontakt. Wir haben das in allen untersuchten Leichen gefunden.”
Einen Stoff fand die Forscherin bei jedem zweiten Toten
Bei der Obduktion von zehn Männern und einer Frau fand Pawlik insgesamt fünf verschiedene Streckmittel, wild durcheinandergemischt, teils in auffällig hohen Konzentrationen, mal in der Lunge, mal im Blut. Die Forscherin vermutet, dass acht Menschen direkt durch den Drogenkonsum starben und dass Streckstoffe bei mindestens sieben als Mitauslöser eine Rolle spielten. Einen Stoff fand Pawlik sogar bei jedem zweiten Toten: das dem Kokain chemisch nah verwandte Lidocain.
Es ist beliebt bei den Dealern, denn genau wie Kokain betäubt es beim Schnupfen die Schleimhäute und beim Spritzen die Einstichstelle. So täuscht es besonders reinen Stoff vor. Und: Anders als andere Streckstoffe landet Lidocain beim Crack-Kochen mit in den beigen Kristallen.
Werden diese dann geraucht, strömt Lidocain direkt ins Lungengewebe – wo es effektiv die Atmung hemmt und zum Tod führen kann. Zwar war das bei keinem der elf Menschen in Pawliks Studie der Fall. Aber sie warnt, dass auch bei Crack längst noch nicht klar sei, welche Rolle Beimischungen für die toxischen Wirkungen spielen.
Ali wippt mit einem Bein, lässt die silberne Pfeife durch die Hände gleiten. Er erzählt von seinem “Kokaingier-Monster”, das sich tief drinnen eingenistet hat, es warte dort und krieche dann plötzlich wie ein hungriger Oktopus durch den ganzen Kopf. Die Minuten, die beim Kochen vergehen, müssen sich für ihn ins Unerträgliche ziehen. Und trotzdem ist er da eisern, nimmt sich jedes Mal die Zeit dafür.
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“Kann schon sein, dass Crack auch nicht ganz sauber ist”, sagt Ali. “Aber wenigstens ist es nicht so dreckig.” Die Panscherei der Dealer wird ihm jedes Mal wieder bewusst, wenn er das Kokainpulver kocht: Meistens bleibt mehr als die Hälfte des Stoffs im Reagenzglas zurück